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Georg Schärmer im Gespräch mit dem PASSIVHAUSmagazin

Cartias -Tirol-Direktor über Umweltflüchtlinge

  • Eine Leitfigur für humanitäres und soziales  Engagement: Georg Schärmer. Visionär, Vordenker und seit November 1998 Direktor der Caritas Tirol. Foto: eli/zweiraum.eu

    Eine Leitfigur für humanitäres und soziales Engagement: Georg Schärmer. Visionär, Vordenker und seit November 1998 Direktor der Caritas Tirol. Foto: eli/zweiraum.eu

  • Die Mentlvilla in Innsbruck bietet Suchtkranken  nicht nur einen Platz zum Schlafen – hier finden  sie Schutz, soziale Wärme, Kleidung und mehr. Fotos: David Schreyer, Karl Heinz

    Die Mentlvilla in Innsbruck bietet Suchtkranken nicht nur einen Platz zum Schlafen – hier finden sie Schutz, soziale Wärme, Kleidung und mehr. Fotos: David Schreyer, Karl Heinz

Umweltflüchtlinge: die Herausforderung von Morgen

Warum wir unsere Sicht auf dieses Thema überdenken müssen

(BEP) Über 60 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht. Vor Kriegen, bewaffneten Konflikten, Verfolgung, Hunger und Perspektivenlosigkeit. Und es werden mehr: bis 2050 soll es weltweit über 200 Millionen Flüchtlinge geben – das sagen Schätzungen. Viele davon aufgrund des Klimawandels und seiner Folgen. Was das für die Zukunft heißt und wie es diesbezüglich mit der aktuellen Flüchtlingssituation aussieht, darüber haben wir uns mit Georg Schärmer, Direktor der Caritas Tirol, in einem spannenden Interview unterhalten.

Flucht hat viele Gründe
Es gibt viele Ursachen, die Menschen zur Flucht zwingen. Dabei machen gängige Unterteilungen in Klima-, Wirtschafts- oder Kriegsflüchtlinge wenig Sinn – zu komplex seien die Gründe, zu verwoben ineinander, meint auch Caritasdirektor Schärmer, der in diesem Zusammenhang von einem Ineinandergreifen von Umständen spricht. „Wenn Klimaveränderungen Kriege verursachen, die zu Hungersnöten und Misswirtschaft führen – ist dann die Rede von Klimaflüchtlingen, Kriegs- oder Wirtschaftsflüchtlingen?“

 

Wichtig ist auch, dass wir bei all dem die Arbeitsmigration nicht vergessen. Bei zahlreichen Menschen, beispielsweise aus Mali,  gehört es zur Tradition, dass junge Männer für einige Jahre ausziehen, um in anderen Ländern zu arbeiten, erklärt Schärmer. „Spanien, Italien, Frankreich – Beispiele dafür gibt es genug. Die Verdienste sind miserabel, die Arbeitsbedingungen auch – und dennoch kann ein jeder von uns sicher sein, dass er schon einmal eine Zitrone oder Orange, geerntet von einem illegalen Arbeiter aus Afrika in der Hand hatte. Die Wirtschaft profitiert davon und auch wir.“ Es gibt also nicht nur einen Vertreib-Effekt, sondern auch einen Sog-Effekt als Migrationsursache. „Dem mit Weitsicht zu begegnen würde bedeuten, der Arbeitsmigration eine legale Basis zu schaffen. So gäbe es mehr Sicherheit und Schutz für die betroffenen Menschen, aber auch mehr Möglichkeiten im Einsatz dieser Kräfte. Wir würden alle aus diesem Wissens-, Kultur- und Kräfteaustausch unsere Vorteile ziehen.

Chancen, Risiken und die große Angst vor der Ohnmacht
Kommen denn nun in Zukunft noch mehr Flüchtlinge nach Europa? Das ist derzeit nicht abschätzbar, meint Caritasdirektor Schärmer. Den größten Anteil flüchtender Menschen machen heute und auch in Zukunft Binnenflüchtlinge aus, die im eigenen Land Schutz suchen. „Menschen, denen der Krieg alles genommen hat, denen Trockenheit und Wassermangel ihre Lebensgrundlage entzogen haben oder die durch Katastrophen, Unwetter und Überschwemmungen obdachlos geworden sind – Menschen wie Sie und ich, die nur in Sicherheit leben wollen, versuchen am ehesten, diese Sicherheit irgendwo im eigenen Land zu finden. Wenn dann gar nichts mehr hilft, dann ist eine Flucht ins Ausland oftmals die einzige Chance.“ Die Willkommenskultur in Teilen Mitteleuropas sieht Schärmer differenziert: „Kein Flüchtling in Österreich ist mir willkommen. Jeder einzelne Flüchtling, der zu uns kommt, ist ein Zeichen des Versagens in der eigenen und der Politik auf globaler Ebene, für mangelhafte internationale Zusammenarbeit, und ein Indiz für schlechte Versorgung vor Ort.“ Rückkehrbegleitung – wo es möglich ist – muss oberstes Ziel bleiben.

 

Europa wird bei zukünftigen Migrationsbewegungen höchstens marginal eine Rolle spielen – und tut es in Anbetracht anderer Flüchtlingsländer wie Jordanien, dem Libanon oder der Türkei eigentlich auch heute, wenn man die Anzahl der Asylbewerber im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung sieht. Liegt es also an den kulturellen Unterschieden, die so fleißig propagiert werden oder schlichtweg an der Religion – dem Islam, dass dieses Thema in unseren Breiten so polarisiert? „Religion spielt eigentlich keine Rolle. Ich kenne die Situation in vielen Flüchtlingslagern vor Ort – dort wird an einem Strang gezogen. Da sind Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, die alle dasselbe Schicksal erleiden mussten und sich gegenseitig helfen und unterstützen, unabhängig von Glaube und Herkunft. Anders wäre ein Überleben dort auch gar nicht möglich. Außerdem ist es die Essenz des Christentums, anderen zu helfen. Religion wird hier – auch in Österreich – leider viel zu oft nur als Mittel zur Abgrenzung missbraucht.“ Den Grund für die große Angst in der Bevölkerung sieht Schärmer deshalb in Politik und Medien: „Das ist auf der einen Seite natürlich ein ideales Thema, um Angst zu schüren und sich gleichzeitig als Problemlöser zu positionieren, also eine rein macht- und parteipolitische Maßnahme, auf der anderen Seite ist das bewusste Aufladen dieses Themas eine gute Ablenkungsstrategie – so werden Themen, wie beispielsweise die Sicherung der Altersvorsorge, die uns in naher Zukunft betreffen werden, vorübergehend unter den Tisch gekehrt. Das spart Arbeit und bringt Stimmen. Auch wenn es ein gefährliches Spiel mit dem Feuer ist.“

 

Effektive Entwicklungszusammenarbeit auf internationaler Ebene
Wie also dem Phänomen heute und auch in Zukunft richtig begegnen? „Die beste Prävention ist es, auch in anderen Ländern ein gutes Leben zu garantieren. Durch Bildung, Aufklärung, politische Veränderungen, Demokratisierung sowie die finanzielle Unterstützung von Flüchtlingsländern. Wichtig ist es auch, sich bei Themen wie Nahrungsmittelversorgung, Energie und Müllentsorgung zusammenzuschließen und gemeinsam tragbare Lösungen entwickeln. Die Caritas unterstützt derzeit bereits 150.000 Menschen in den betroffenen Flüchtlingsregionen. Durch Nachmittagsunterricht, Gesundheitsprogramme, Brunnenbau und vieles mehr. Wir sind mit der Tiroler Caritas in fünf Staaten und zusätzlich im Libanon und Jordanien tätig. Auch in Tirol wird ganze Arbeit geleistet: Wir helfen bei der Wohnungssuche, bei Behördengängen und unterstützen die ersten Schritte ins Berufsleben. In Zukunft möchten wir mit unserer Hilfe freiwilligen Rückkehrern den Heimweg erleichtern und die Re-integration in den Ursprungsländer unterstützen.

 

Die langfristige Lösung: eine nachhaltige Klima- und Umweltpolitik
Ein Thema, das der Caritas ganz besonders am Herzen liegt – und das auch eine einzigartige Herausforderung darstellt, der man mit Innovationsgeist und effektiver Umsetzung begegnet, meint Schärmer: „Als Caritas ist man natürlich herausgefordert, auch ökologischen Problemen der Zukunft weitsichtig zu begegnen. Wir verwenden nur fair gehandelte Produkte, am besten regional und saisonal um lange Transportwege zu vermeiden – das ist die Caritas-Nachhaltigkeitsstrategie und das beginnt beim Orangensaft und hört beim Waschmittel auf. Alle Häuser im Besitz der Caritas sind bereits komplett weg vom Erdöl, stattdessen werden Wärmepumpen oder die Kraft der Sonne verwendet. Das Caritas-Zentrum Zillertal in Uderns ist z.B. schon Energieautark.“

 

Ein einzigartiges Projekt war die Erneuerungen der Mentlvilla – ein Haus, das die Caritas der Diözese Innsbruck bereits 1985 kaufte. Im Sommer 2013 begann Architekt Jörg Streli mit der Planung eines neuen, topmodernen und wegweisenden Wohn- und Betreuungshauses im Passivhausstandard. Nach dem Spatenstich im Juni 2014 und rund 16 Monaten Bauzeit wurde die Notschlafstelle in der Mentlgasse am 25. November 2015 eröffnet – und ist heute ein lebendiges Beispiel nachhaltigen Bauens für einen guten Zweck – ein Stück Zukunft und ein Zeichen für ein Miteinander mitten in Innsbruck.

Zur Person

Georg Schärmer wurde 1956 in Innsbruck geboren. Seit November 1998 ist er der vierte Direktor der Caritas Tirol seit 1945. Der frühere Deutsch-, Geschichte- und Religionslehrer stand bereits zwischen 1981 und 1983 als Leiter der Katholischen Jugend im Dienst der Diözese. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Eines seiner Projekte ist eine kostenlose medizinische Ambulanz für Menschen ohne Krankenversicherung in Innsbruck, die im November 2013 eröffnet wurde.
 

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