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Architektin Prof. Jana Revedin im Gespräch

Die Architektin, Universitätsprofessorin und Autorin über ihre Vorstellung von nachhaltiger Architektur

  • Jana Revedin – Architect, Theorist and Writer: „Ich sage meinen Studenten: Baut zunächst gar nichts! Bringt euch in einen Ort ein, versteht sein Milieu, seine Ressourcen, seine Potenziale und Gefahren. Macht Euch nützlich, findet Lösungen, werdet not-wendig, ja unerlässlich!“ Foto: Gernot Gleiss

    Jana Revedin – Architect, Theorist and Writer: „Ich sage meinen Studenten: Baut zunächst gar nichts! Bringt euch in einen Ort ein, versteht sein Milieu, seine Ressourcen, seine Potenziale und Gefahren. Macht Euch nützlich, findet Lösungen, werdet not-wendig, ja unerlässlich!“ Foto: Gernot Gleiss

  • Öffentliche Projekt-Präsentation mit Bewohnern des Loire-Dorfes Montigny und Studenten der Klasse Jana Revedin. Foto: Jana Revedin

    Öffentliche Projekt-Präsentation mit Bewohnern des Loire-Dorfes Montigny und Studenten der Klasse Jana Revedin. Foto: Jana Revedin

Ganzheitliches Gestalten im Sinne der Menschen

Nachhaltigkeit bedeutet für Jana Revedin weit mehr als Energie-effizienz. Welche Werte und Missionen die weltweit wirkende und viel beachtete Architektin, Literatin und Universitätsprofessorin verfolgt und vertritt hat sie in einem packenden Gespräch erzählt

(CMS) Globales, vernetztes Denken im Sinne aller Beteiligten ist für Jana Revedin oberstes Gebot ihrer Gestaltungslehre. Die gebürtige Deutsche studierte in Buenos Aires, Princeton und Mailand Architektur und durfte schon in jungen Jahren mit Architekturgrößen wie Aldo Rossi zusammenarbeiten. In ihrer derzeitigen Funktion als Professorin der Architektur-Meisterklasse an der angesehenen Ecole Speciale d'Architecture in Paris will sie erreichen, dass Bauen im Kollektiv geschieht und als Dienst am Menschen betrachtet wird.

PASSIVHAUSmagazin: Wie sollte sich ihren Vorstellungen gemäß, moderne, nachhaltige Architektur heute definieren und entwickeln und wo liegen die Herausforderungen, denen sich die Verantwortlichen stellen müssen?

Jana Revedin: Die Architektenschaft hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte zu sehr der Ästhetik und auch übertriebenem Funktionalismus und Normenwahn verschrieben, den tatsächlichen Hauptakteur aller Lebensräume, den Menschen, darüber aber oft vergessen. Wir dürfen nicht so tun, als hätten wir endlos Rohstoffe zur Verfügung. Unser Planet braucht ganzheitliche Lösungen und die Architektur war in Zeiten großen Wandels immer Motor von Erneuerung und gesunder Gesellschaftskritik. Denken wir nur an die wunderbare Reform-Moderne der 1920er!  Architekten waren damals und sind auch heute wieder Begleiter, keine Dirigenten, tragen Verantwortung für das was sie tun. Nachhaltigkeit bedeutet also weit mehr als Energieeffizienz. Wir müssen den Ort, seine Menschen und ihre Bedürfnisse, Hoffnungen und Ängste wieder ernst nehmen – und sie aktiv in unsere Planungsprozesse einbinden. Selbstverständlich obliegt uns Architekten die technische und ökonomische Verantwortung, die Pflicht zu exzellenter Gestaltung und Ausführung, die Freude am Experiment und an kollektiver Neuentwicklung. Architektur kann so viele Ressourcen befreien und bündeln!

„High-tech sollte kritisch hinterfragt und wo immer möglich durch Right-tech ersetzt werden – das entspricht echter Nachhaltigkeit und einem ganzheitlichen Denken in Kreislauf-Ökonomien.“

PASSIVHAUSmagazin: In welcher Form tragen sie als Architektin und Lehrende persönlich dazu bei, diese Denk- und Handelsweise zu vermitteln und weiterzutragen?

Jana Revedin: Meine Studenten der Meisterklasse – ich nannte sie mit einem Augenzwinkern, denn Architektur muss ja immer spielerisch und auch radikal sein dürfen – die „kollektive Fabrik“, haben ihr Grund-Handwerk schon gelernt.
Für ihre Diplom-Projekte haben sie bei mir zwei Jahre Zeit und zeichnen keine unreflektierten Wettbewerbsprogramme, sondern arbeiten an einem konkreten Ort für ein konkretes Ziel. Unser interdisziplinäres Planungs-Team wird von einem Stadtviertel, einem Dorf oder einem Slum gerufen, wo ein Bedarf besteht und wo wir uns in einen laufenden Dialog einbringen. Wir versuchen gemeinsam mit den Bewohnern bestehende Ressourcen zu nützen und die Lebensqualität und Selbstentwicklung durch klug dosierte, meist kleinteilige Projekte zu steigern. Dabei entdecken wir die einmaligen Qualitäten eines jeden Ortes wieder – seine Geografie, Geologie, Ökonomie, sein Klima, seine Kultur. Und natürlich seine Menschen. Infrastruktur und bebauter Raum sind in den meisten Lebensräumen ja schon ausreichend vorhanden. In unseren Gesaltungskonzepten denken wir um oder neu: flexible Nutzungsmodelle und demokratische Verteilung, neue Lebensformen und –rhytmen, ortsgerechte Strukturen und Materialen, simple Bauformen, die das kollektive Gedächtnis wachrufen...

 

PASSIVHAUSmagazin: Sie sind neben Ihrer Tätigkeit an der Universität und auf Ihren Experimental-Baustellen auch als Buchautorin seit Jahren erfolgreich. Worin liegt Ihre größte Leidenschaft?

Jana Revedin: Schon als Kind liebte ich zwei Dinge: Räume bauen und Schreiben. Heute kann ich diese beiden Passionen in meiner Lehre und Forschung sowie in meiner literarischen Tätigkeit vereinen. Die Hauptfiguren in meinen Romanen kommen immer aus diesen zwei Welten, der Welt des Raums oder der Welt des Wortes. Und ich werde nicht müde, ihnen in deren Tiefen zu folgen.

 

PASSIVHAUSmagazin: Sie haben 2006 auch einen international gefeierten Architekturpreis gegründet, den Global Award for Sustainable Architecture.

Jana Revedin: In Anlehnung an den berühmtesten Architekturpreis, den Pritzker-Preis, nannte man meinen Global Award in Fachkreisen von Anfang an den „Rebellen-Pritzker“ – welch ein Erfolg! Alejandro Aravena, schon 2008 mein Preisträger, lud unsere ganze Global Award Gemeinschaft zu seiner diesjährigen Biennale nach Venedig ein. Alle 50 Preisträger sind präsent, als Aussteller oder Kuratoren, das war ein Hallo in den Eröffnungstagen...! Der Paradigmenwechsel in der Welt der Architektur in Richtung Nachhaltigkeit ist also manifest und ich trug mit dem Global Award und seiner kulturellen und wissenschaftlichen Breitenwirkung einen kleinen Beitrag dazu bei. Das ist eine große Freude. Aber auch eine große Verantwortung. Wir Architekten müssen weiterdenken und -tun: in Richtung Reform-Architektur, Reform-Lehre, Reform-Ökonomien...