Klimatisch Bewegt


Wohlstand und Balance für die Welt

Prof. Franz Josef Radermacher, Mitglied des Club of Rome, forscht über eine tragfähige Zukunft für unseren Planeten

portrait-radermacher.jpg

Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher…

…Vorstand des Forschungsinstitutes für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung, ist zugleich Professor für Informatik an der Universität Ulm und Präsident des Senates der Wirtschaft in Bonn. Der Vizepräsident des Ökosozialen Forum Europa ist außerdem Mitglied des Club of Rome. Prof. Radermacher, Träger des Salzburger Robert-Jungk-Preises 2005, wurde unter anderem durch sein Eintreten für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft und durch sein Engagement in der Global Marshall Plan Initiative bekannt. Diese setzt sich seit 2003 für eine gerechtere Globalisierung, für eine „Welt in Balance“, ein. Prof. Radermacher hat Österreichs frühere Innenministerin Johanna Mikl-Leitner in der Flüchtlingsfrage beraten.

(mek) Als Keynote-Speaker begeisterte er im Jänner 2016 im Rahmen der Baufachtagung zeba in Innsbruck: Professor Franz Josef Radermacher von der Universität Ulm. Der Vertreter des „Club of Rome“ zeigte anschaulich auf, wie sich Wohlstand und Balance in weltweiter Perspektive verhalten.

 

Als Experte für Globalisierungsthemen und nachhaltige Entwicklung beschäftigt sich Prof. Franz Josef Radermacher mit den Auswirkungen und in der Folge mit Lösungsvorschlägen für das starke Bevölkerungswachstum, den Klimawandel und umweltverträgliche Mobilitätsformen der Zukunft. Die nach wie vor sehr stark ausgeprägte 2-Klassen-Gesellschaft und die so genannte „Brasilianisierung der Welt“ als eine mögliche Zukunft für uns alle (siehe Kasten) waren Themen, die der Wissenschaftler in seiner zeba-Keynote in Innsbruck verständlich darlegte.

„Das Beispiel Migration zeigt: Wenn nicht vor Ort geholfen wird, dann kommen Probleme auf zwei Beinen in die Wohnzimmer Europas.“

95 versus 5 Prozent
Das extreme Auseinanderdriften von Arm und Reich führt potentiell zur Etablierung der 2-Klassen-Gesellschaft – weltweit. Fünf Prozent würden von allen Ressourcen im Überfluss besitzen, während 95 Prozent eine eher verarmte und weitgehend chancenlose Unterschicht bilden. Nur 35 Prozent sieht Radermacher für die Chancen, dass die Mächte und Akteure dieser Welt die richtige Balance finden. „Es gibt faktisch keine globale Demokratie. Arme dürfen auf dem Globus nichts wollen“, ergänzt Prof. Franz Josef Radermacher im Interview mit dem PASSIVHAUSmagazin.


Mittelklasse-Strukturen sind von schleichender Erosion betroffen – bei der Aufteilung der Menschen in „arm“ und „reich“ spielt die Geburt und damit das Erbe eine große Rolle. Bringt fleißiges Arbeiten also gar nichts? Nur in Ausnahmefällen. „Beobachten Sie doch die Celebrities. Die Reichen und Schönen werden in die Netzwerke von Wohlstand hineingeboren. In diesen Netzwerken werden die Kinder nach vorne gebracht. Besitz, Erbe und Zugang sind dort gesichert. Somit bleibt die Spirale in Gang.“

Europäer haben es gut
Dabei haben es wir Europäer wieder einmal gut. „Wir verzeichnen weltweit gesehen ein sehr hohes Maß an sozialem Ausgleich“, schildert der Experte. Gemessen wird dieser Prozess anhand einer Messzahl, die weder zu hoch noch zu niedrig sein sollte. Zu hoch weist in Richtung Planwirtschaft und Kommunismus – keine gute Lösung. Im Bereich 55 – 65 ist der soziale Ausgleich und auch der Zustand der Gesellschaft gut. Nordeuropäische Staaten wie Norwegen liegen oberhalb von 60, aber auch Österreich ist in diesem Bereich anzusiedeln. „Die Sozialpartnerschaft funktioniert in der Alpenrepublik gut“, schlussfolgert Radermacher. Die Briten kommen auf einen Wert von 50, die USA liegen noch etwas darunter. Brasilien liegt etwas über 30, Südafrika sogar darunter, wenig erfreulich. Und betrachten wir die Welt als Ganzes, liegen wir bei 20. – die sogenannte „Globale Apartheit“. Im Moment verschlechtern sich die Werte fast überall auf der Welt.

Brasilianisierung oder Ökokollaps
In seinem Beitrag „Zukunft gestalten – Potenziale und Gegenkräfte“ formuliert Radermacher, wie Nachhaltigkeit und Wohlstand für zehn Milliarden Menschen zu erreichen sind: „Durch grünes und inklusives Wachstum im Sinne der Rio + 20 Konferenz und dem Postmillenniumsprozess auf UN-Ebene. Voraussetzung ist allerdings eine adäquate Global Governance, damit Preise in Märkten die Wahrheit sagen und erforderliche Querfinanzierungen für die soziale Balance und Umwelt- und Klimaschutz möglich sind. Als Basis der Finanzierung all dieser Anliegen soll die Besteuerung der Nutzung von Weltgemeingütern durchgesetzt werden.

Ist die Weltgemeinschaft an dieser Stelle nicht erfolgreich, werden Brasilianisierung oder Ökokollaps unsere Zukunft bestimmen. Auch das wäre nicht das Ende der Welt, aber ein Desaster und ein extremer – zudem vermeidbarer – Verlust an zivilisatorischer Qualität. Potenziale ringen hier mit starken Gegenkräften. Die Auseinandersetzung muss geführt werden…“

 

Brasilianisierung…

…des Westens ist eine vom deutschen Soziologen Ulrich Beck Ende der 1990er Jahre in die soziologische Debatte eingeführte Kurzformel für den von ihm vermuteten sozialen Wandel Europas in Richtung einer zunehmenden sozialen Ungleichheit. Der Begriff wurde auch durch Franz Josef Radermacher in der Forderung nach einer Änderung des politischen Systems in Richtung einer weltweiten ökosozialen Marktwirtschaft aufgegriffen.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/ Brasilianisierung