Klimatisch Bewegt


Raus aus der Komfortzone

Ingrid Felipe und Georg Schärmer im Doppelinterview

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Georg Schärmer, Direktor der Caritas Tirol
LH-Stv.in Mag. Ingrid Felipe



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(mek) Was Klimaschutz mit der aktuellen Flüchtlingskrise zu tun hat, erzählen Tirols Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe und Georg Schärmer, Direktor der Caritas Tirol, im Interview mit dem PASSIVHAUSmagazin. Ein Gespräch über Klimaflüchtlinge, cleveres Bauen und Sanieren, Passivhäuser, Kilometergeld für Radfahrende und das, was jeder Einzelne, jede Einzelne tun kann, um zu helfen…

Krieg, Gewalt und Hunger haben im Jahr 2015 eine Flüchtlingsbewegung eingeleitet, deren schreckliche Ausmaße beinahe täglich übertroffen werden. Fast 60 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht - so viele wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. Wie geht es Ihnen, wenn Sie derzeit Tageszeitungen und Internet lesen oder Berichte im Fernsehen anschauen?

Georg Schärmer: Ich versuche, meinen Medienkonsum aus psychohygienischen Gründen ein wenig einzuschränken. Die Schreckensbilder, die uns tagtäglich erreichen, können zur emotionalen Abstumpfung führen. Daher ist für mich alles, was den Kältetod der Gefühle fördert, zu vermeiden. Die Dramatik der Kriegsflüchtlinge hat ihren Höhepunkt noch nicht einmal erreicht. Dabei gibt es Schätzungen, wonach wir in den nächsten 20 Jahren 100 Millionen Klimaflüchtlinge haben werden. Durch die globale Erderwärmung sowie den Anstieg des Meeresspiegels, der manche Küstenregionen unbewohnbar machen kann. Dort, wo wir helfen können, muss unsere Hilfe jetzt schon ansetzen

Laut Experten wie dem Umweltökonomen Dennis Meadows und dem Publizisten Jakob von Uexküll ist der von den Menschen verursachte Klimawandel in vielen Fällen die Ursache für Flüchtlingswellen, die Europa erlebe. Greenpeace warnt vor Klimaflüchtlingen in der Zukunft. Wie stehen Sie dazu?

Ingrid Felipe: Unser Planet ist durch die steigende Bevölkerungsanzahl sowie seiner Ausbeutung großen Herausforderungen unterworfen. Der Klimawandel und seine Schäden sind einerseits schwer einzuschätzen, andererseits haben wir es heuer erlebt: einen Sommer der Superlative und eine Zunahme der Wetterextreme. Den Klimawandel können wir nur mehr verlangsamen. Zuvor jedoch sollten wir uns eingestehen, dass es den Klimawandel gibt. Das ist nun mal Faktum. Und ich persönlich bin sicher, dass der Mensch seinen Beitrag dazu geleistet hat.

In Tirol haben wir tolle Vorzeigeprojekte, was die Klima-Forschung betrifft. Zum Beispiel im universitären Bereich die Gletscherforschung  oder auch ALPS (Wissenschaftsunternehmen im Bereich Klimawandelanpassung). Wie gesagt, wir müssen daran arbeiten, den Klimawandel zu verlangsamen. Durch sehr viel Anpassungsarbeit. Das bedeutet für mich, dass wir die Komfortzone verlassen müssen, um uns auf Veränderungen einstellen zu können.  

Georg Schärmer: Die Caritas verzeichnet einen eklatanten Anstieg so genannter Großereignisse, bei denen internationale Hilfe notwendig ist. Zum Beispiel Erdbeben oder Hochwasser. Waren es im Jahr 2014 gezählte 120, stehen wir heuer schon bei 540. Wir sind in gestärktem Maße gefordert mit Hilfseinsätzen durch Wetterextreme.

 

Klimaschutz zählt zu Grünen Kernthemen. Mit der Initiative „Tirol 2050“ sind auf politischer Ebene ehrgeizige Ziele zur Energieautonomie formuliert worden. Worin sehen Sie größtes Potenzial?

Ingrid Felipe: In der Einsparung von Energie. Wir haben noch sehr viele auszuschöpfende Möglichkeiten zum sinnvollen Dämmen von Gebäuden – generell zum clever Bauen und Sanieren. Aber auch in der Verlagerung vom Individual- zum öffentlichen Verkehr stecken noch Chancen diesbezüglich. Hier gilt wieder: Wir sollten unsere Gewohnheiten ändern und öfter mal das Rad anstatt das Auto benutzen. Oder ganz einfach: beim Heizen mit Holz dieses von oben anzünden. Das spart Energie und bares Geld. Bewusstseinsbildung ist also gefragt. Denn jeder Einzelne kann seinen Beitrag leisten.

Georg Schärmer: Nachhaltige Konzepte sind gefragt. Die Caritas Tirol forciert bei Neubauten – wie zum Beispiel der Mentlvilla – den Passivhausstandard. Ein anderes Beispiel betrifft die Mobilität unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Caritas Tirol bezahlt „Kilometergeld“ für Radfahrer. Allerdings dürfen wir die Energie-Armut nicht vergessen. In einem Haushalt, dessen Bewohner von der Mindestsicherung leben, zählt jeder Euro. Die Caritas plant ehrenamtliche EnergiesparberaterInnen für jene, die es brauchen. Ein unbeschreiblicher Ressourcenverbrauch liegt meines Erachtens aber auch im Konsumismus der Menschen, was auf globaler Ebene zur Ausbeutung armer Länder führt, weil sie ihre Böden nicht mehr bestellen können.

 

„Bis zum Jahr 2050 soll der Energieverbrauch in Tirol halbiert und der Anteil an erneuerbaren Energieträgern um 30 % erhöht werden. Dabei werden nicht nur neue Technologien, wie Wasserstoffautos oder ‚intelligente Gebäude" eine Rolle spielen…‘, heißt es auf der Webseite tirol2050.at. Wie stehen Sie zur Passivhaustechnologie?

Ingrid Felipe: Ich finde es sehr begrüßenswert, dass dieser energieeffiziente Baustandard mittlerweile leistbarer geworden ist. Das war lange Zeit problematisch. Ich war schon öfters zu Besuch in Passivhäusern – konnte dort auch übernachten – und habe das Wohnklima als wahnsinnig angenehm empfunden. Passivhäuser sind mit Bedacht gebaut.

Georg Schärmer: Wie bereits erwähnt, setzt die Caritas Tirol bei Neubauten auf den Passivhausstandard. Darüber hinaus sind für mich neue architektonische Konzepte gefragt, welche die individuelle und gemeinschaftliche Nutzung von Räumen und Gebäuden sinnvoll ermöglicht und somit Ressourcen spart. Dies versuchen wir unter anderem beim Neubau des Caritas-Integrationshauses in Innsbruck zu realisieren. Wir sind in Vorbereitung – 2017 erfolgt voraussichtlich der Baustart.

 

Flüchtlingskrise und Klimaschutz: Wo sehen Sie Ansätze für jeden einzelnen Tiroler Bürger – was kann jeder einzelne tun, um zu helfen?

Ingrid Felipe: Sich darauf einlassen. Das trifft für beide Fragen zu. Flüchtlingen angstfrei und offen begegnen. Sie sind Menschen, die unsere Unterstützung benötigen. Solche Erfahrungen sind immer lohnend. Und auch beim Klimaschutz rate ich einfach zum Ausprobieren: Wie fühlt es sich an, wenn ich mit dem Rad oder den Öffis zur Arbeit fahre? Wie kann ich mit bewusstem Konsum von Fleisch oder regionalen Produkten leben? Wo kann ich faire Kleidungsstücke erwerben? „Ich kann mir das nicht leisten“, höre ich da oft. „Wir sollten es uns leisten wollen“, antworte ich dann darauf. Qualität hat ihren Wert. In diesem Fall aber würde unser ökologischer Fußabdruck viel kleiner ausfallen.

Georg Schärmer: Wir sollten in der aktuellen Flüchtlingskrise um sachliche Information und Aufklärung bemüht sein und freiwilliges Engagement begleiten, um der Überforderung der Helfer vorzubeugen. Geldspenden der Cartias zum Beispiel gehen in Projekte vor Ort, um den Menschen den Weg nach Europa zu ersparen. Im Libanon ist die Lage besonders prekär. Dort helfen wir unter anderem mit dem Bau von Frauenhäusern. Wir brauchen Bewusstseinsbildung, die entängstigt und face-to-face-Begegnungen. Hinter jeder Fluchtgeschichte steckt ein menschliches Schicksal.