Klimatisch Bewegt


„Österreich als Vorbild der Biogasbranche“

Bürgermeister Arno Zengerle aus Wildpoldsried (Allgäu) im Interview

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Arno Zengerle, Bürgermeister der Gemeinde Wildpoldsried im Allgäu: „Mittlerweile können wir ca. 100 Besuchergruppen aus aller Welt (Japan, Indonesien, Türkei, uvm.) bei uns begrüßen.“

(lisi) Wildpoldsried – eine knapp 2.700 Seelengemeinde im Allgäu, entwickelte sich zum „Energiedorf Europas.“ Seit 1999 wurde unter Einbindung der Bürger ein ökologisches Profil für die Gemeinde erarbeitet, das sowohl regional als auch international ausgezeichnet wurde und einen kräftigen Investitionsschub mit sich brachte. Unter dem Motto WIR, das für „Wildpoldsried Innovativ Richtungsweisend“ steht, geht die Gemeinde im Bezug auf regenerative Energieerzeugung ihren eigenen Erfolgsweg und produziert in etwa das siebenfache des kommunalen Strombedarfs aus regenerativen Energiequellen. Bürgermeister Arno Zengerle spricht mit dem PASSIVHAUSmagazin über den „Hype“ um sein Energiedorf, Forschungsprojekte als auch über ökologische und ökonomische Vorteile.

 

Sie selbst bezeichnen Wildpoldsried als „kleines, aber selbstbewusstes“ Dorf. Als recht beschauliche knapp 2.700-Seelen-Gemeinde wurde seit Mitte der 1990er Jahre eine stolze Summe in Höhe von ca. 50 Millionen Euro in den ökologischen Umbau investiert. Welche konkreten Maßnahmen wurden umgesetzt und wo liegen im Allgemeinen die Schwerpunkte dieses ökologischen Profils?
Arno Zengerle: Den Bürgerbeteiligungsprozess haben wir 1998/99 gestartet – zu erwähnen dabei ist, dass das Kapital größtenteils von Privatpersonen aufgebracht wurde, die Gemeinde Wildpoldsried hat lediglich zwei Millionen von insgesamt 50 Millionen Euro investiert (Anmerkung der Redaktion: Investiert wurden in Anbetracht an die Einwohnerzahl durchschnittlich 19.000 Euro/Einwohner). Dabei wurden unter anderem neun Windkraftanlagen sowie Photovoltaikanlagen und eine Biogasanlage errichtet (2005 wurde eine Biomasseheizung für alle öffentlichen, aber auch private Gebäude gebaut.) Im Zusammenhang mit Biogasanlagen diente übrigens Österreich als Vorbild (Anmerkung der Redaktion: Damals waren Biogasanlagen in Deutschland noch nicht allzu gängig). Wir in Wildpoldsried haben einige „Idealisten“, denen wir es zu verdanken haben, dass regenerative Energien in einer solchen Bandbreite erzeugt werden – hervorzuheben dabei ist der „Wind-Wendelin“ (Anmerkung der Redaktion: Initiator Wendelin Einsiedler).

„Die Bürger haben das notwendige Kapital aufgebracht, dementsprechend wichtig ist es auch, dass diese dahinterstehen.“

Ihrer Homepage ist zu entnehmen, dass der Gemeinderat Wildpoldsried im Januar 2010 ein Klimaschutz-Leitbild beschlossen hat. Können Sie uns dieses erläutern?
Arno Zengerle: 
Unser Ziel damals war es, dass wir im Jahr 2020 mindestens so viel Energie regenerativ erzeugen, wie die Gemeinde benötigt. Dieses Ziel haben wir schon Ende 2012 erreicht, im Moment sind wir daher ein wenig ziellos (lachend).  

 

Welche ökologischen und ökonomischen Vorteile bringt dieses Konzept für andere Gemeinden, Privatpersonen oder Firmen mit sich? Und inwieweit ist dieses „kopierbar“?
Arno Zengerle:
Ich denke nicht, dass dieses Modell „kopierbar“ ist, Gleiches geht nicht. Unser Standort erweist sich als ideal für Windkraftwerke, bei einer durchschnittlichen Windgeschwindigkeit von 6,6 Meter/Sekunde bietet dies gute Voraussetzungen. Zum ökonomischen Vorteil: Niemand würde investieren, um Geld zu verlieren, die Grundvoraussetzung für die Investoren ist eine vernünftige Rendite. Und die Zahlen sprechen für sich: Im Jahr 2016 konnte eine Wertschöpfung von gesamt über 6,25 Millionen Euro verbucht werden. Davon entfielen 2,6 Millionen auf Windkraftwerke, 1,8 Mio. auf Biogas-, 1,7 Mio. auf Photovoltaikanlagen und 5.390 Euro auf Kleinwasserkraftwerke. Die Erzeugung Erneuerbarer Energien in Wildpoldsried ist um 688 % höher als der Verbrauch.

 

Ihr Ort ist international bekannt als „Energiedorf“ – wie kam es zu dieser Auszeichnung und welche Kriterien sind damit verknüpft?
Arno Zengerle: Wildpoldsried
erzeugt Energie aus allen regenerativen Energiearten. 2002 wollte ich einfach wissen, ob es noch andere Orte gibt, die über Stromproduktionen verschiedenster Arten verfügen. Bei einer bayernweiten Umfrage hat sich herausgestellt, dass wir der einzige Ort sind – diese Information wollte ich im Rahmen einer Gemeinderatssitzung unter dem Punkt „Allfälliges“ verkünden. Die anwesenden Pressevertreter haben diese (für mich eher banale Wortmeldung) in ihren jeweiligen Medien getitelt – dies hatte nur Folge, dass internationale TV-Stationen auf unseren Ort aufmerksam geworden sind. Mittlerweile können wir ca. 100 Besuchergruppen aus aller Welt (Japan, Indonesien, Türkei, uvm.) bei uns begrüßen.

 

Unter dem Titel „IREN2“ wird ein Forschungsprojekt durchgeführt. Welchen inhaltlichen Themen widmet sich dieses?
Arno Zengerle:
Seit April 2011 läuft in Zusammenarbeit mit der Firma Siemens das Pilotprojekt „Irene bzw. IREN2“ zur Integration von regenerativer Energie und Elektromobilität. IREN2 wurde als Nachfolgeprojekt von IRENE 2014 gestartet und ist auf eine Dauer von drei Jahren angelegt. Aufbauend auf den Erfahrungen des Projektes IRENE entwickelten sich weiterführende Forschungsfelder, an denen mit der bereits im Vorgängerprojekt installierten Infrastruktur gearbeitet werden kann. Es widmet sich inhaltlich einer der wichtigsten Herausforderungen der Energiewende. Und – so viel sei schon verraten: Es wird auch ein Nachfolgeprojekt „IREN3“ geben.
 

Ihre Gemeinde wurde vielfach mit deutschen und internationalen Preisen geehrt – welche Auszeichnungen wurden Ihnen konkret zuteil?
Arno Zengerle:
Uns wurden viele Auszeichnungen zuteil, eine der größten Auszeichnungen ist der European Energy Award, bei welchem wir die ziemlich höchste Punktezahl erreicht haben, die je vergeben wurde. Auch wurden wir zum Champions-League-Sieger der Energiewende erkoren, 2012 haben wir in Rom den Klimaschutzpreis erhalten. Zusätzlich haben wir viele kleinere Auszeichnungen bekommen (Umweltpreis der Bayrischen Landesstiftung, 1. Platz Bayrischer Agenda Wettbewerb, Deutscher Solarpreis, uvm). Diese Auszeichnungen sind wichtig, die Leute bekommen hierdurch die notwendige Motivation – denn, die Bürger haben das notwendige Kapital aufgebracht, dementsprechend wichtig ist es auch, dass diese dahinterstehen.