Klimatisch Bewegt


„Die kreative Zerstörung“

Die deutsche Technologie-Unternehmerin und Juristin Yvonne Hofstetter sieht in der Digitalisierung auch negative Entwicklungen

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Foto: Heimo Aga

(lisi) Alle reden vom großen Wandel, den die Digitalisierung mit sich bringen wird. Doch, was kommt wirklich auf die Menschheit zu? Die Digitalisierung wird unbestritten unser Leben verändern. Die deutsche Technologie-Unternehmerin und Juristin Yvonne Hofstetter spricht im PASSIVHAUSmagazin darüber, wie unsere Zukunft ausschauen könnte. Weiter noch: Die Expertin warnt davor, dass die Digitalisierung die uns bekannte Welt zerstören könnte.

Frau Hofstetter, Sie sind Juristin und aber auch Mitglied eines Teams aus Technologen, das künstliche Intelligenz nicht nur in den Testumgebungen der Forschungslabore, sondern für den operativen Einsatz in verschiedenen Industrien baut. Inwieweit zollen Sie der „Digitalisierung“ Potenzial und wo sehen Sie negative Entwicklungen?
Yvonne Hofstetter: 
Die Digitalisierung hat den Anspruch der „kreativen Zerstörung“. Ihre Produkte, Services, Geschäftsmodelle und Technologien zerstören das Alte des 20. Jahrhunderts – Geschäftsprozesse und -strukturen, Unternehmensphilosophien, Einsatzdoktrinen. „Das haben wir schon immer so gemacht“, gilt nicht mehr in der digitalen Ära. Nehmen Sie zum Beispiel das Smartphone. Vor elf Jahren hat Apple das erste iPhone verkauft. Seitdem hat sich unsere Gesellschaft entscheidend verändert. Wir kommunizieren anders, daten anders, arbeiten anders als früher. Das ist schön und bedrohlich zugleich, weil wir wissen: Digitale Technologien werden Arbeit automatisieren und Berufsbilder für immer auslöschen. Hinzukommt, dass die weiter zunehmende Vernetzung zum Internet of Everything unsere Gesellschaft noch komplexer und noch schwerer regierbar und noch unsicherer macht. Andererseits eröffnet die Digitalisierung Chancen auf Wirtschaftswachstum, denn wir beuten sozusagen einen neuen Raum aus, quasi den virtuellen Raum.

Auf Ihrer Homepage findet sich folgende Aussage: „Innovation verlangt nicht nur Leidenschaft, sie braucht auch Vernunft.“ In welchen Bereichen wird – aus Ihrer persönlichen Sicht – nicht „vernünftig“ mit technologischen Fortschritten umgegangen?
Yvonne Hofstetter:
  Nehmen Sie – ganz aktuell – den Facebook-Skandal. „Das haben wir unterschätzt“, hören wir aus dem Silicon Valley. „Darüber haben wir nicht nachgedacht, wir haben nicht genug Verantwortung übernommen, wir haben Fehler gemacht.“ So und ähnlich lauten die schwachen Entschuldigungen des Industriekonzerns, der der Demokratie schwerste Schäden zugefügt hat. Seit Jahren rede ich über die Problematik, dass die Werbeplattformen der Internetkonzerne die Verbraucher in die Irre führen; dass sie vorgeben, Nachrichtenbringer zu sein, es aber nicht sind; dass sie Vertrauen zerstören, weil so viele Lügen, Übertreibungen, Auslassungen auf ihren Werbeplattformen zu lesen sind, dass sie die Bürger in ein Meinungschaos stürzen, bis die Bürger „falsche“ (Wahl-) Entscheidungen treffen; dass sie den Verlust der Wahrheit zu verantworten haben, weil im Chaos der Aussagen kein Unterschied mehr gemacht wird zwischen Meinung und Wirklichkeit. Könnte man die Effekte, wie sie jetzt auftreten, voraus erahnen? Ja, wenn man seinen Kopf einschaltet, etwas politische Kultur und geschichtliches Wissen einbringt und ein wenig mit Recht und Philosophie vertraut ist – also mit den Geisteswissenschaften, nicht nur den Naturwissenschaften. An Ersterem fehlt es übermotivierten jungen Technologen gänzlich. Die Vernunft ist ein Kind der Geisteswissenschaften, die an den höheren Bildungsinstituten oft nur noch abfällig behandelt werden. Zumindest werden sie finanziell massiv schlechter gefördert als die Naturwissenschaften oder die Empirie. Hier ist viel mehr Balance nötig.

„Die Vernunft ist ein Kind der Geisteswissenschaften, die an den höheren Bildungsinstituten oft nur noch abfällig behandelt werden.“

Sie gelten als Expertin künstlicher Intelligenz. Die Digitalisierung hat längst auch die Baubranche erreicht. Unlängst wurden 3D-Drucker entwickelt, die ganze Häuser drucken. Was glauben Sie, wie entwickelt sich diese Branche in der Zukunft?
Yvonne Hofstetter
:  Erst gestern habe ich auf einem Kongress vor österreichischen Architekten gesprochen. Dabei lernen wir gegenseitig voneinander. Ich habe verstanden, dass der Trend zum Low-Tech-Bauen geht und halte diesen Trend für extrem sinnvoll. Hat sich schon jemand überlegt, wie wartungsintensiv ein Smart Home ist? Wie ineffizient im Energieverbrauch, wenn ich für die Steuerung meines Hauses im Rechenzentrum eine Menge Datenspeicher und Prozessorleistung brauche, und das 24/7? Wie unpraktisch es ist, wenn ich alle Lichtbilder umprogrammieren muss, nur weil ich das Sofa in eine andere Ecke schiebe und dort auch lesen will? Nehmen wir auch auf die elektrosensiblen Menschen Rücksicht, wenn wir die Häuser mit funkender Sensorik vollstopfen? Low-Tech ist hier toll, denn jeder Sensor, jede Steuerung, die ich nicht verbaue, hat einen ewigen Lebenszyklus und null Amortisationskosten. Ansonsten sehe ich die Plattformökonomie auch in der Baubranche um sich greifen. Händler und lokale Handwerke werden aus der Wertschöpfungskette gedrängt. Denken Sie etwa an die Dachdecker. Bauherren können heute ihr Dach online direkt beim Hersteller bestellen, und verlegt werden die Dachziegel von Tageslöhnern, gerne aus anderen Ländern. Plattformökonomie ist ein Problem für alle Branchen – außer für die Plattformen selbst.

Im Dezember 2016 ist Ihr Buch erschienen „Das Ende der Demokratie.“ Worauf spielen Sie mit diesem Buchtitel an?
Yvonne Hofstetter: Auf die Veränderung des Menschenbilds in der Digitalisierung. Digitale Angebote degradieren den Menschen zur Sache. Der Mensch, sagen uns die Hersteller unserer digitalen Lieblingsmarken, ist „die ultimative Maschine“. Er ist ein „biologistischer Algorithmus“. Man will künstliche Intelligenz einsetzen, „um die Menschen umzuprogrammieren, damit sie sich besser benehmen.“ So lauten die Zitate aus dem Silicon Valley. Wir sind nur ein Datenhaufen, den man manipulieren kann – so wie Facebook mit Cambridge Analytica oder Palantir, einer anderen Manipulationsfirma. Das Problem mit der Demokratie ist aber, dass sie den freien, souveränen, vernünftigen Menschen voraussetzt, der selbst denken kann. Ändere ich dieses Menschenbild hin zur determinierten Bio-Maschine, kann ich die Demokratie ad acta legen. Wozu dann noch frei wählen? Eine determinierte Bio-Maschine mit vorherbestimmtem Handlungsablauf, dem Algorithmus, ist nicht frei und hat deshalb auch keine Wahl.

Bei allen Zweifeln: Ist Ihrer Meinung nach eine Balance zwischen technischer Weiterentwicklung und einer humanen Zukunft für uns alle möglich?
Yvonne Hofstetter:  Schon in der ersten industriellen Revolution gab es inhumane Auswüchse wie Kinderarbeit, die 80-Stunden-Woche, Niedriglöhne und schlimme hygienische Arbeitsverhältnisse. Das konnten wir im 20. Jahrhundert ändern. Heute stehen wir vor einer ähnlichen Herausforderung. Heute betrifft die Hygiene den Umgang miteinander – Stichwort: Eingrenzung der physischen Gewalt in der Gesellschaft, befördert durch Hate Speech im Internet – oder die Wahrung eines Rests an Privatsphäre in einer Umgebung der Totalüberwachung durch smarte Telefone, Autos, Häuser, Städte. Im 20. Jahrhundert war der Mensch in der Lage, die Zukunft zu humanisieren. Das kann ihm auch heute gelingen – hoffentlich ohne die schrecklichen gesellschaftlichen Begleiterscheinungen, die wir aus dem 20. Jahrhundert kennen.

In Ihrem ersten Buch „Sie wissen alles“, das 2014 erschienen ist, schreiben Sie davon, dass wir die Kontrolle über unsere Daten längst verloren haben und einer Gefahr, ausgehend von intelligenten Algorithmen. Wird der Mensch wirklich „gläsern“?
Yvonne Hofstetter: Sie können kein smartes Gerät nutzen, ohne dass Sie überwacht werden. Bei „smart“ ist die Überwachung direkt eingebaut, sie ist systemimmanent. Alle Daten, die „smart“ bei Ihnen abgreift, sind auf ewig für Sie verloren. Sie holen Sie nie mehr zurück. Nicht Ihre Bewegungsprofile, nicht Ihr Netzwerk, nicht Ihr Verhaltens- und Wohnprofil und nicht Ihr Psychogramm. Das ist eine der technologischen Kräfte der Digitalisierung: alles fließt – auch die Kopie Ihres Lebens. Sie fließt durchs Netz, kopiert sich hier und da und wird dort oder anderswo ergänzt und angebaut. Das stört uns wenig, solange wir in einer Demokratie leben. Aber wehe uns, wenn die Lage kippt. Dann können wir ganz schnell chinesische Verhältnisse haben: die Kopfnote, die uns als „guten“ oder „schlechten“ Bürger klassifiziert. Dann wäre die Wandlung des freien Menschen in eine Zahl, in den Neuen Menschen des 21. Jahrhunderts, vollendet – mit allen Konsequenzen für unsere persönliche Zukunft, über die dann andere bestimmen und nicht mehr wir selbst.