Klimatisch Bewegt


„Die Energiewende hat ein Image-Problem…“

Tirol ist mit dem Ausbau der Wasserkraft auf dem richtigen Weg, sagt Prof. Dr. Claudia Kemfert, Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit in Berlin

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Foto: Oliver Fiegel

Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin. Im Interview erklärt sie, wie die Energiewende zum Konjunkturmotor werden kann. 

Claudia Kemfert ortet die größte Herausforderung in klugem, auf Langfristigkeit ausgelegtem Management der Energiewende.

Laut Ihrer Aussage kann „eine kluge Energiewende zum Konjunkturmotor werden“. Was genau meint das Wort „Energiewende“ und unter welchen Voraussetzungen kann sie zum Konjunkturmotor werden?
Claudia Kemfert: Die Energiewende hat zum Ziel, den Anteil erneuerbarer Energien auf 80 Prozent in den kommenden vier Jahren zu erhöhen, gleichzeitig mehr Energie einzusparen, vor allem in den Bereichen der Gebäudeenergie und Mobilität. Wir steigen somit kurzfristig aus der Atomkraft aus, mittelfristig aus Kohlestrom aus, zudem werden weniger fossile Energien wie Öl und Gas eingesetzt werden. Folglich machen wir uns unabhängiger von Importen und möglichen Preisschocks. Zum Konjunkturmotor kann die Energiewende werden, da Investitionen in Innovationen und neue Energietechnologien Wertschöpfung und Arbeitsplätze hervorbringen. Im Bereich der erneuerbaren Energien sind heute über 370.000 Menschen beschäftigt, im Bereich der Energieeffizienz über 240.000. Im Rahmen einer klugen Energiewende wird sich die Anzahl weiter erhöhen.

„Der Passivhausstandard ist sehr wichtig, vor allem für neu errichtete Gebäude.“

Welche Risiken und Herausforderungen birgt die Energie-Wende? Wie ist ihnen aus Ihrer Sicht sinnvoll zu begegnen?
Claudia Kemfert: Das Energiesystem wird komplett umgebaut werden, hin zu mehr dezentralen erneuerbaren Energien, Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), einem Energie- und Lastmanagement mittels intelligenter Netze und Nachfragesteuerung sowie mittelfristig mehr Energiespeicher. All dies muss heute eingeleitet werden und bedarf umfassender Abstimmungen in Europa und zwischen den Bundesländern. Die größte Herausforderung ist eindeutig ein kluges, auf Langfristigkeit ausgelegtes Management der Energiewende.
 

Welche Blockaden können Sie als Expertin zum (raschen) Fortschritt der Energiewende erkennen? Wie ist diesen Blockaden zu begegnen?
Claudia Kemfert:
Die Blockaden liegen zum einen darin begründet, dass es Wirtschaftsinteressen gibt, die gern beim herkömmlichen System bleiben wollen. Zum anderen blockiert sich die Politik selbst durch Streitereien und unsicheren Entscheidungen. Die Energiewende hat ein Image-Problem, sie wird permanent schlecht geredet. Dadurch schwindet die Akzeptanz in der Bevölkerung.


Was passiert, wenn wir die Energiewende nicht schaffen?
Claudia Kemfert: Wir werden die Energiewende schaffen. Der Prozess kann aber ineffizient werden. Wir sind ein wichtiges Vorbild für die Welt. Allein die drastischen Senkungen der Kosten für Solarenergie haben dazu geführt, dass in vielen Ländern der Welt auch ohne Netzanbindung diese Technologien mehr und mehr genutzt werden können.
 

Stichwort Gaskrise: (Wann) wird in Europa Erdgas knapp?
Claudia Kemfert:
Grundsätzlich steht uns Erdgas noch für die kommenden Jahrzehnte zur Verfügung. In einigen Jahrzehnten werden wir mit überschüssigen erneuerbaren Energien sogar in der Lage sein, Wasserstoff und synthetisches Gas selbst herzustellen.

PASSIVHAUSmagazin: Orten Sie global gesehen Unterschiede im Fortschritt der Energiewende? Welche Länder, Regionen, Projekte stufen Sie als vorbildlich ein?
Claudia Kemfert: Dänemark ist sehr weit und vor allem sehr konsequent in der Umsetzung der Energiewende. Auch die Skandinavischen Länder tun sehr viel. Es werden viele Länder folgen, wenn die Kosten der erneuerbaren Energien immer weiter sinken.
 

Wie bewerten Sie das Bewusstsein für die notwendige Energiewende in Österreich? Im Bundesland Tirol forciert die Politik den großflächigen Ausbau der heimischen Wasserkraft, um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu minimieren. Für Sie der richtige Weg?
Claudia Kemfert:
Absolut. Österreich hat den Vorteil, dass viel Wasserkraft genutzt werden kann, zudem mehr Speicherpotenziale hat, somit auch für Deutschland interessant ist. Zudem setzt Österreich auf konsequentes Energiesparen vor allem im Gebäudebereich, da können wir in Deutschland viel lernen.
 

Wie viel Energie lässt sich im Gebäudebereich einsparen? Das Passivhaus mit seiner ausgereiften Technik setzt auf konsequentes Energiesparen. Wie stehen Sie zum Passivhaus als Gebäudestandard? Welches Potenzial sehen Sie in seiner Verbreitung?
Claudia Kemfert: Knapp ein Fünftel des Energiebedarfs von Immobilien ließe sich allein durch den Einsatz effizienter Dämm- und Klimatechnik einsparen. Neben dem Mobilitätssektor liegen die größten Einsparpotenziale vor allem im Immobilienbereich, genauer, in der Gebäudehülle. Der Passivhausstandard ist sehr wichtig, vor allem für neu errichtete Gebäude. Das Potenzial insbesondere für Neubauten ist sehr groß. Aber auch durch die energetische Gebäudesanierung von Altbauten lassen sich große Mengen Energie einsparen. Die energetische Gebäudesanierung setzt volkwirtschaftlich lohnende Investitionen frei, die Wertschöpfung und Arbeitsplätze schaffen. Zudem werden Energiekosten gesenkt, was ebenso volkswirtschaftlich vorteilhaft ist.
 

Auch wenn es abgedroschen klingt: Was kann jede Einzelne, jeder Einzelne zur Energiewende beitragen?
Claudia Kemfert: Eine Menge! Vor allem durch effektives Energiesparen durch beispielsweise energetische Gebäudesanierung oder durch den Kauf energiesparender Geräte. Auch durch die Art der Mobilität trägt man zur Energiewende bei (Rad, Bahn, Auto und welcher Kraftstoff oder Flugzeug), und vor allem kann jeder Öko-Strom kaufen oder sich selbst an Energie-Projekten beteiligen.