Klimatisch Bewegt


Die Architektur der 2000-Watt-Gesellschaft

Prof. Dr. Ing. Holger Wallbaum über nachhaltiges Bauen und Sanieren

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(copyright: Holcim Foundation for Sustainable Construction)

Professor Holger Wallbaum…

…war Professor für Nachhaltiges Bauen am Institut für Bau- und Infrastrukturmanagement und gehörte zum Departement Bau, Umwelt und Geomatik der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Holger Wallbaum verstärkte zudem das ETH-Kompetenzzentrum Energy Science Center (ESC). Heute lehrt und forscht er an der Chalmers University of Technology in Göteborg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Nachhaltigkeitsbewertung mit einem Schwerpunkt der ökologischen und ökonomischen Lebenszyklusanalyse (LCA/LCCA) von Baumaterialien und Gebäuden, der Gebäudesanierung sowie der Gebäudeparkmodellierung auf der Ebene von Städten.

(mek) Prof. Holger Wallbaum lehrt und forscht an der Chalmers University of Technology in Göteborg. Der einstige Leiter der Professur für nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich erläutert im Interview mit dem PASSIVHAUSmagazin Rahmenbedingungen und Lösungsansätze der 2000-Watt-Gesellschaft. Und wie diese zu nachhaltigem Bauen führen können.


„Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise ist ein ‚gemütliches Aufwärmprogramm‘ im Vergleich zu dem, was aufgrund des Klimawandels auf uns zukommen wird. Der Klimawandel stellt uns vor eine nie da gewesene Herkulesaufgabe. Die Menschheit muss in den nächsten Jahren beweisen, ob sie dieser Herausforderung gewachsen ist“, heißt es im ETH-Klimablog. Woran machen Sie diese Ihre Aussage fest?
Holger Wallbaum:
Diese Aussage von mir stammt ja noch aus meiner Zeit an der ETH Zürich und man sollte meinen, dass diese nach mehr als vier Jahren veraltet ist, das Gegenteil ist aber der Fall. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere und haben uns an die durchaus heute nicht weniger kritische europäische Finanz- und Wirtschaftssituation bereits gewöhnt. Der stattfindende Klimawandel wird uns aber darüber hinaus fordern, auf allen Gebieten. Dabei denke ich u.a. an die zunehmende Wahrscheinlichkeit von Starkwetterereignissen, die bauliche Anpassungsmaßnahmen gegen Hochwasser und Stürme nach sich ziehen, aber auch an klima-bedingte Zuwanderung, regionaler Wassermangel, erodierte Böden und Nahrungsmittelengpässe, Hitzewellen und damit eine steigende Anzahl von Sterbefällen und vieles mehr.
Mit den neulich in Paris am Klimagipfel getroffenen Festlegungen den Klimawandel auf nahe 1,5 Grad Temperaturerhöhung zu beschränken, gibt es einen erneuten Schub dem Klimawandel in der Staatengemeinschaft die Stirn zu bieten, aber das Ziel ist eben auch sehr abstrakt. Übersetzt bedeutet diese Zielsetzung, dass die Menschheit ab etwa 2050 kein CO2 mehr in die Atmosphäre pusten dürfte. Alle Emissionen müssten also bis dahin auf Nullgesenkt werden. Das Zeitfenster zum Handeln schließt sich immer schneller, da wir neben den politischen Beschlüssen, vor allem Taten brauchen, um die Kehrtwende zu schaffen.

Stichwort „2000-Watt-Gesellschaft“ (siehe Kasten unten): Von den 2.000 Watt entfallen auf den Bereich Wohnen (Baumaterialien, Raumklima, Warmwasser, Haushalt und Mobilität) ganze 840 Watt pro Person. Wie können die Vorgaben der 2000-Watt-Gesellschaft im Gebäudebereich erreicht werden?
Holger Wallbaum:
Eigentlich ist es doch sehr komfortabel, wenn wir auch in Zukunft immer noch mehr als 40 Prozent unseres „individuellen Energiebudgets“ für das Wohnen ausgeben können, wenn man bedenkt, dass wir uns mit dem restlichen Budget ernähren, kleiden, bilden u.s.w. müssen. Nicht nur in der Schweiz wurde aber bereits auch gezeigt, dass 2000-Watt-kompatible-Häuser auch heute durchaus schon gebaut werden können. Mit dem Einsatz effizienter Gebäudetechnik, erneuerbarer Energiequellen und einem sehr reduzierten Energieverbrauch durch innovative Dämmstoffe und der Reduzierung von Wärmebrücken, ist der Heizwärme- und Warmwasserbedarf im Bereich des Wohnungsbaus gut in den Griff zu bekommen. Herausfordernder gestalten sich die Fortschritte bei den Baumaterialien, die im Neubau auf Passivhaus-Niveau rund 50 Prozent der Umweltbelastungen über den gesamten Lebenszyklus von 50-80 Jahren ausmachen. Denn auch die innovativen Baustoffe und die effiziente Gebäudetechnik haben einen ökologischen Preis.
In der Schweiz wurden auch bereits die ersten 2000-Watt-Areale geplant. Hier sehe ich auch ein großes Potenzial, um die 2000-Watt-Ziele zu erreichen, indem man Druck von den Einzelgebäuden nimmt und zu übergeordneten Lösungen auf der Ebene Siedlung oder gar Stadtteil schaut. Ökonomisch und ökologisch bieten sich hier viele Potenziale, die vor allem auch im Bereich der Gebäudesanierung einen wichtigen Beitrag leisten können, die Tiefe der energetisch wirksamen Gebäudesanierung zu erhöhen – also den Energieverbrauch deutlich mehr zu senken als dies bei einer heute üblichen normalen Sanierung der Fall ist – und vor allem die Sanierungsrate zu steigern, die mit 0,5-1 Prozent pro Jahr des Gebäudebestandes viel zu niedrig ist, um die nationalen und europäischen Energie- und Klimaziele zu erreichen.

 

Warum sehen Sie in der 2000-Watt-Gesellschaft ein geeignetes Modell, um zu hohen Energieverbräuchen in den Städten entgegenzutreten?
Holger Wallbaum:
Die Stärke des Konzeptes liegt im Detail. Zum einen kombiniert sie alle Lebensbereiche des Menschen, also Mobilität, Wohnen, Arbeiten, Ausbildung, Ernährung etc.
Der Zielwert ist pro Kopf festgelegt und kommuniziert klar die individuelle Rolle und Verantwortung jedes Einzelnen und ist damit nicht nur eine politische Aufgabe. Das Konzept adressiert Energie- und Klimaziele und berücksichtigt mehr als nur die Nutzungsphase eines Gebäudes, indem die sogenannte „graue Energie“ der Baustoffe berücksichtigt wird. Abschließend ermöglicht die Lösungssuche auf der Ebene Areal vielversprechende Ansätze, die neben der Reduzierung des Energiebedarfs auch das intelligente Energiemanagement zwischen Gebäuden sowie die Potenziale einer umweltfreundlicheren Energieversorgung berücksichtigt. Was die Vergangenheit gezeigt hat, ist, dass die Umsetzung der Zielsetzung nicht nur mit einem Konzeptansatz erreicht werden kann und auch städtebauliche und ästhetische Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen, um ortsspezifisch die sinnvollsten Lösungen zu erarbeiten.

 

Die 2000-Watt-Gesellschaft

Die Vision der 2000-Watt-Gesellschaft basiert im Wesentlichen auf drei Elementen: der Verminderung des Energieverbrauchs auf etwa einen Drittel des heutigen Wertes, höchstens eine Tonne CO2-Emissionen pro Person und dem Verzicht auf neue Atomkraftwerksbeteiligungen. Entwickelt wurde das Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft in den Neunzigerjahren an der ETH Zürich. Bis heute haben sich zahlreiche Behörden, von der lokalen Ebene bis zum Bundesrat in der Schweiz, zum Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft bekannt. Als erste Gemeinde hat die Stadt Zürich die 2000-Watt-Gesellschaft verbindlich in ihrer Gemeindeordnung festgeschrieben.

 

Holger Wallbaum: „Es gibt eine ganze Reihe von sogenannten Netto-Nullenergiegebäuden und Null-CO2-Gebäuden auf der ganzen Welt. Einige dieser Innovationen können Sie auf der Internetseite des Climate-KIC Leuchtturmprojektes Building Technologies Accelerator sehen, wie anpassbare Solarfassade (http://bta.climate-kic.org/innovation_projects/solarfacade/).“