Dr. Karl W. Steininger lehrt und forscht am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Graz sowie am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel. Der Experte erläutert die wirtschaftliche Dimension des Klimawandels. Diese ist heute schon für jede Einzelne, jeden Einzelnen spürbar.
(mek) Im September 2014 wurde in Wien der europaweit erste nationale Sachstandsbericht zum Klimawandel präsentiert. Zentrales Ergebnis: Der Klimawandel trifft Österreich besonders hart und erfordert gemeinsames Handeln aller Sektoren. Wie ist diese Aussage zu interpretieren?
Steininger: Der Anstieg der Durchschnittstemperatur seit Ende des 19. Jahrhunderts beträgt global bisher bereits knapp 0,9 Grad Celsius, für Österreich hingegen schon knapp 2 Grad. Der für Österreich stärkere Anstieg hat vor allem zwei Gründe: Das globale Mittel wird durch den dämpfenden Einfluss der Ozeane mitgeprägt, über Land ist der Temperaturanstieg höher, somit auch für Österreich; zum zweiten sind es die durch die pannonische Tiefebene mitgeprägten spezifischen Wetterlagen. Den Folgen des Klimawandels gegenüber ist Österreich durch seine Topographie (etwa: steilere Hänge) stärker exponiert. Das Handeln – sowohl im Hinblick auf den bereits ausgelösten Klimawandel durch Anpassung als auch zur Vorbeugung weiteren Anstiegs durch Klimaschutz – betrifft wirklich alle Sektoren. Umgekehrt sind wir in Österreich reicher – und können daher auch in diesem Sinne leichter handeln –, als in vielen vom Klimawandel zumindest so stark betroffenen Ländern des globalen Südens.
„Die Zunahme der Hitzetage hat deutliche Auswirkungen auf die Arbeitsproduktivität…“
Vor allem die Land- und Forstwirtschaft, Ökosysteme, Biodiversität, aber auch der Tourismus und das Gesundheitssystem leiden unter den Folgen. Wie schauen klimaökonomische Szenarien aus?
Steininger: Neben den genannten Bereichen sind es in Österreich zudem vor allem auch klima- und wetterbedingte Naturkatastrophen, insbesondere Überschwemmungen, und Auswirkungen auf das Energie- und Infrastruktursystem, die die wirtschaftlichen Schäden bestimmen. Wenn wir die Gesamtheit der klima- und wetterbedingten Schäden für die Zukunft erfassen wollen, so hängen diese einerseits von der Stärke des zukünftigen weiteren Klimawandels ab (zB Anzahl der Hitzetage), zum anderen aber auch von unserer gesellschaftlichen Entwicklung (etwa dem Bevölkerungsanteil alter Menschen, die dann unter Hitzewellen besonders leiden). Beide Dimensionen können wir in sogenannten „Szenarien“ erfassen (also plausiblen Zukünften). Ausgehend von derzeitigen Schäden in Höhe von durchschnittlich zumindest eine Mrd. Euro pro Jahr, zeigt sich für ein mittleres Szenario ein Anstieg dieser Schäden (netto, d.h. positive mit negativen Auswirkungen gegengerechnet) bis zur Mitte des Jahrhunderts auf vier bis fünf Mrd. Euro jährlich.
Die Bandbreite dieser Schadenszahl liegt bei zumindest bis zu 8,8 Mrd. Euro – wobei hier noch eine Reihe von Folgen nicht einbezogen sind (etwa Biodiversitätsveränderungen).
Inwiefern sind ökonomische Auswirkungen des Klimawandels im Alltag für jeden Einzelnen heute schon spürbar?
Steininger: Die schadensträchtigsten wetter- und klimabedingten Ereignisse sind Extremereignisse wie Überschwemmungen, Vermurungen oder Hitzewellen. Die unmittelbar Geschädigten sind davon meist existenziell betroffen, über unterschiedliche Risikotransfermechanismen auch wir alle. Zum einen über höhere Produktpreise (die Versicherungsprämien, die etwa Obst- und Weinbauern für eine dauerhaft
stabile Geschäftstätigkeit abschließen müssen, werden an die Konsumenten weitergegeben), zum anderen werden nicht unwesentliche Teile unser Steuerzahlungen zur Folgenbewältigung verwendet (im Jahr 2014 flossen z.B. allein aus den Einkommenssteuern 471 Mio. € an den Katastrophenfonds, also 55 € je Österreicher allein dahin) oder zur Finanzierung von Präventionsmaßnahmen (wie Schutzbauten für Straßen). Darüber hinaus sehen wir es an vielen unserer Ausgaben: auch die Kanalgebühren sind zB höher, weil das Kanalsystem größer dimensioniert werden muss, um mit höheren Abflussmengen nach Starkregenereignissen umgehen zu können.
Die ökonomischen Auswirkungen extremer Wetterereignisse haben in den letzten drei Jahrzehnten zugenommen. Eine klimabedingte Verstärkung solcher Schadensereignisse hätte laut den AutorInnen des Sachstandsberichtes signifikante Auswirkungen auf die Volkswirtschaft Österreichs. Wie können sich diese konkret manifestieren?
Steininger: Nehmen wir als Beispiel – eines der für Österreich diesbezüglich wichtigsten Ereignisse – Flusshochwässer und dadurch verursachte Gebäudeschäden. Ein Jahrhundert-hochwasser kann zum Ende dieses Jahrhunderts dann allein Gebäudeschäden in Höhe von 15 bis 41 Mrd € auslösen (d.h. bis zu über 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Der geringere Wert gilt für den Fall, dass wir ab sofort gar keine Gebäude mehr in Zonen errichten, die von 200-jährigen (oder häufigeren) Hochwässern heimgesucht werden, und der Klimawandel eher schwach ausfällt, der höhere Wert für den Fall, dass wir an Standorten wie bisher weiterbauen, und der Klimawandel eher stärkere Ausprägung hat.
Oder nehmen wir Hitzetage (größer als 30 Grad Celsius, in einem Verbund von zumindest drei solcher Tage hintereinander), derzeit beobachten wir davon (je nach Standort) drei bis 12 pro Jahr (drei sind es zB im Tiroler Oberland, zehn in Wien). Zur Mitte des Jahrhunderts werden es acht bis 24 Hitzetage jährlich sein (auch im Tiroler Oberland dann bereits zehn). Sollte der Klimawandel stärker ausfallen, werden wir in einzelnen Jahren (jedes 20. Jahr) bereits 77 Hitzetage auszuhalten haben bzw. mit den Folgen umzugehen haben. Dies hat deutliche Auswirkungen auf die Arbeitsproduktivität, stellt aber auch eine Herausforderung für unser Gesundheitssystem dar.
Weiterführende Informationen:
Österreichischer Sachstandsbericht
Klimawandel: www.apcc.ac.at
Die Folgekosten des Klimawandels in
Österreich: www.coin.ccca.at